Ruhrtriennale 2009

Ruhrtriennale 2009
Duisburg – Gladbeck – Bochum

In äußerst seltenen Fällen taucht aufabwegen in die Sphäre der Hochkultur ein. Immer dann passiert dies, wenn sich der Einsatz zu lohnen scheint und die Pain aus u.U. steifem Gestus, harten Stühlen und überteuert-symbolischer Bewirtung gemeistert werden kann. Die Ruhrtriennale 2009 beschäftigte sich mit „Urmomenten“, wie es der aktuelle künstlerische Leiter Willy Decker nennt. Die Einordnung dieser wuchtigen Thematik in einen größeren intellektuellen Diskurs überlassen wir getrost dem Feuilleton und beschränken uns auf vier kurze Momentaufnahmen, zu deren Bezeugung wir in die „Kathedralen der Arbeit“ des Ruhrpotts fuhren.

08.09.2009
Maschinenhalle Zeche Zweckel, Gladbeck
SING FÜR MICH, TOD
Ein Ritual. Für Claude Vivier

vivier
(c) Paul Leclaire

Klarer Punktsieger ist im Rückblick dieser Abend, der eine echte Entdeckung zu Tage fördert: die Musik des in Deutschland recht unbekannten kanadischen Komponisten Claude Vivier! Gleich zu Beginn wird man in ein mäanderndes Wogen der Streicherklänge förmlich hineingezogen; schemenhaft tauchen thematische Gruppen auf, nur um kurz darauf Schiffbruch zu erleiden. Die Klänge stellen sich niemals selbst aus, sondern bleiben geheimnisvoll-zurückgenommen nicht unähnlich der Musik von Scelsi. Die Musiker des Ensembles musikFabrik sind im Bühnenbild aus Blickrichtung links versetzt in die erste Etage verbannt; z.T. sogar hinter Roll-Jalousien. Eigentlich hätte man sich zur optimalen Entfaltung der klanglichen Pracht einen zentralen Ort für die Musiker gewünscht. Aber den Platz brauchte der schauspielerische Monolog, der in der Ausführung gut war, aber eigentlich nur bekanntes Theaterrepertoire verarbeitete. Wenn auch von Albert Ostermeier verfasst so war doch die Orientierung am Leben (oder dem wenigen, was man darüber weiß) des Komponisten nur teilweise glücklich und die Figuren (Vivier und sein Liebhaber, bzw. mutmaßlicher Mörder) wirkten verloren. Was bleibt ist der intensive Eindruck einer fesselnden Musik, geschrieben von einem augenscheinlich tragischen Komponisten.

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12.09.2009
Gießhalle Landschaftspark Duisburg-Nord
CENTURY OF SONG: LOVE & DEATH
Iggy Pop, Tine Kindermann, Marc Ribot & Friends

Love_and_Death
(c) Michael Kneffel

Das Format von CoS ist eingeführt und die Namen sind so groß, dass Jung und Alt zusammen strömen. So auch an diesem Abend, den Marc Ribot mit einer eigenen, erotischen Instrumental-Nummer und den Worten einleitete: „This evening is called ‚Love & Death‘ because they didn’t want to call it ‚Sex & Death‘!“ Im Anschluß hat Ribot das zweifelhafte Vergnügen, Tine Kindermann begleiten zu müssen. Sie trägt Kunst- und Schlaflieder zum Thema Tod vor. Lieder ist ihre Bühnenpräsenz sehr statisch und auch der Einsatz der singenden Säge wirkt wie ein effektheischender Trick. Zu keiner Zeit hat man das Gefühl, dass Tine Kindermann in ihrem Material versinkt, mit den Liefdern eins wird, hinter ihnen zurück tritt. Vielleicht tue ich der Künstlerin unrecht, aber die ganze Veranstaltung will eine gewisse Steifheit nicht loswerden: immer scheint durch: „Achtung Leute, ich habe mir hier was ganz dolles und duftes extra für euch ausgedacht!“. Der Charakter wandelkt sich rasch, als im zwieten teikl des Abends Iggy Pop auf der Bühne steht. Nach weiteren Traditionals schwenkt die Rockikone um zu salonzahmen Versionen seiner eigenen Hits: Search & Destroy, I Wanna Be Your Dog u.a. Der Funke springt direkt über aus dem Publikum: die Leute verlassen die Bestuhlung und tanzen vor der Bühne. Iggy Pop genießt dies ganz offensichtlich. Mein Gott ist der Mann klein und wirkt er so zerbrechlich. Und dann am Mikro – diese Power! Zum Glück blieb die Hose aber an…. 🙂

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22.09.2009
Jahrhunderthalle Bochum
TEOREMA
Nach Pier Paolo Pasolini

TEOREMA
(c) Jan Versweyveld

In dieser Inszenierung von Ivo van Hoe wird Pasolinis gleichnamiger Film in ein relativ blassiertes Kammerspiel übertragen. Allerdings greift die Kritik z.B. der Süddeutschen doch arg kurz, wenn die Oberflächlichkeit der Figuren bemängelt wird, die enormen Fliehkräfte von außen aber kaum (mit Ausnahme auf den ja nun unumgehbaren Deus ex Machina in Figur des schönen Gastes) Berücksichtigung finden. Was ist mit den das Bühnengeschehen einrahmenden DJ-Mixes der vier Musiker des [BL!NDMAN] new strings-Quartetts?! Was hat es mit dem Merzbow’schen weißen Lärm zum Ende der Show auf sich, der alles radikal entschleunigt und auf Null setzt?! Gerade Dank dieser Befragungen an den Stoff war uns persönlich ein Zugang möglich, der letztlich auch zu Pasolini führte. Schließlich war er es, der Jesus als den ersten Proletarier dargestellt hat; er war es, der Sodom als sexuelle Revolution deutete. Dies alles prasselt unausgesprochern auf die armen Figuren ein, die notgedrungen schemenhafte Karrikaturen bleiben müssen. Viel spannendere wäre es eigentlich gewesen, die angeprangerte Verflachung noch konsequenter zu betreiben um das Grunddilemma herauszustreichen. Gesten wie das Zertrümmern des Mobiliars sind überflüssig.

Es bleiben gemischte Eindrücke von der Ruhrtriennale zurück: Echte Entdeckungen stehen neben Momenten der Bedeutungsüberfrachtung; knorrig-undergroundiges Loftgebaren neben hehrer Inszenierungswut. Es will scheinen, dass das Festival, obwohl unter der neuen Leitung an basalen Themen arbeitend und diese mit sehr viel Empathie und Sorgfalt auch angehend, doch letztendlich darunter leidet, immer die Dinge gleich auch definieren zu wollen. Trotzem: 2010 folgt der nächste Anlauf von unserer Seite! Herzlichen Dank auch an das Presseteam der Ruhrtriennale für die nette Betreuung!
www.ruhrtriennale.de
Till Kniola